NWX19 – New Work 2019: atemberaubend, fesselnd und inspirierend! Wir waren dabei!
Der Auftakt war beeindruckend – mit dem Fahrstuhl oder über die ungewöhnlich gebogene Rolltreppe geht es ins Innere der Elbphilarmonie. Alle Säle waren ausgebucht für das Event und überall tummelten sich gut gelaunte Menschen. Jeder war aufgerufen, statt dem förmlichen „Sie“, zu „dutzen”. Als gebürtige Hamburgerin für mich ein schönes, aber etwas ungewohntes Bild – in Hamburg bin ich viele offene und freundliche Menschen gewöhnt, überall bietet sich die Gelegenheit für einen netten Plausch, aber das Siezen war für mich im Norden bisher sehr verankert. Im Süden meiner Wahlheimat habe ich das Duzen schätzen gelernt.

Zu Beginn des Programms stand eine Begrüßung aller Teilnehmer im Großen Saal, den Herz des Gebäudes, an. Ein Mann, schick gekleidet, betrat forsch die Bühne, blieb stehen, hob die Hände und plötzlich standen in allen Rängen Personen auf und sangen „Die Ode an die Freude“, in die alle Anwesenden eingebunden wurden. Was viele Teilnehmer sicher nicht wussten, ist das Beethovens 9. Sinfonie eine Revolution der Musikgeschichte war, weil sie mit den damals üblichen Normen der Konzertregeln brach. Außerdem wurde sie später zur offiziellen Europahymne ernannt mit der Begründung, „sie versinnbildliche die Werte, die alle teilen, sowie Einheit in der Vielfalt“. Ein erster Indikator für das Ziel des Events.

Als erster Redner betrat Gerald Hüther die Bühne – Neurobiologe, Autor zahlreicher Bücher und Kritiker des bestehenden Schulsystems. Hüther differenzierte in seiner Rede zwischen dem Kind, was voller Tatendrang ist und dem Erwachsenen, der gelernt hat Regeln zu befolgen und vorzugeben. So wird das Kind auf dem Weg zum Erwachsenen vom Subjekt zu einem Objekt gemacht. Dabei sei „lebenslanges Lernen“ etwas natürliches, nach dem jeder strebt und was ein Grundbedürfnis des Menschen darstellt. In einer Hierarchie lernen wir Dinge zu erfüllen, die uns vorgegeben werden. Lebendig ist man aber nur in einem selbst gestalteten Raum. Führungskräfte sind diejenigen, die in der Rolle als Supportive Leader Inspiration, Motivation und den „Glauben an jemanden“ weitergeben und prägen können und mit dem traditionellen Bild von „Befehl und Gehorsam“ brechen können. Wenn jemand Geführt werden gewohnt ist, hat er/sie keine Chance im Leben bestimmte Dinge zu erleben, die einer Selbstführung bedürfen, so Hüther. Mit einem Augenzwinkern ergänzte er, dass es auch Menschen gäbe, die sich lieber „tot“ stellen wollen und man nicht alle „retten“ könne. Dennoch ruft Hüther dazu auf andere Menschen bei der Entfaltung zu unterstützen und das eigene Potential und die Begeisterung bei sich und in anderen wieder zu beleben – bei der Arbeit und in allen anderen Lebensbereichen. Frédéric Laloux, belgischer Autor mit deutschen Wurzeln und Wohnsitz in New York, dessen Buch „Reinventing Organizations“ heute als Standardwerk für zeitgenössische Unternehmensorganisation gilt, beschäftigt sich intensiv mit der Frage: „Wie bekommt man den Wandel in traditionellem Unternehmen hin?“. Wie alles im Leben, die Kunst, die Musik, die Geschichte, durchlief auch die Wirtschaft verschiedene Phasen. Eine davon war die industrielle Revolution, in der das Unternehmen einer gut geölten Maschine gleichen musste, in der eine dominanten Weltanschauung vorherrschte. Laloux empfahl Unternehmen, die den Wandeln bereits hinbekommen haben: Buurtzorg zum Beispiel. Diese Firma hat exakt 0 Manager. Decathlon, Hersteller und Verkäufer von Sportartikeln. Der Chef, Michel Aballea, versendete eine Einladung an alle Mitarbeiter. Diese Mail beinhaltete den Aufruf an alle Mitarbeiter, sich zu melden bei Interesse einen Standort in einem anderen Land aufzubauen, das bisher noch keine Decathlon Standorte besaß. Im Gegenzug wurde volle finanzielle Unterstützung zugesichert. Dem Aufruf folgten zwei Mitarbeiterinnen, die in Soheto, Afrika einen Standort aufbauen wollten – nicht in den Vierteln der Reichen, sondern unter den normalen Bürgern. Inzwischen sind aus einem Standort, sieben geworden. In diesem Jahr wurden in Afrika mehr Läden eröffnet, als insgesamt ins anderen Ländern. Diese Geschichte gilt als Erfolgsstory in der Firmengeschichte. Für viele Manager ist der Weg, aus ihrer Rolle heraus, schwer. Sie fühlen sich nicht mehr gebraucht, wenn sie die Rolle aufgeben, für die sie hart gekämpft haben. Laloux provozierte, indem er sogar so weit ging, zu sagen, dass diese Rolle, die ein so absurdes, künstliches Konstrukt, ist, einigen Spaß bereitet. Weil sie gerne unterdrücken und nicht emphatisch sind. Das subtile Misstrauen herrscht, dass man ohne die Maske „der Rolle“ verwundbar ist. Diesem Zweifel stellt er den Aufruf entgegen, das innere Abenteuer zu wagen, um ein äußeres zu erleben. Höher, weiter, schneller – das alles ist auf Dauer eintönig. Alle Unternehmensleiter, die diesen Weg gegangen seien, wollen, so Laloux, nie wieder zurück zu alten Denkmustern. Die Maske fallen zu lassen, bedeutet, authentisch zu sein. Doch wie baut man das alte Denken ab – folgende Ratschläge hat er den Zuhörern gegeben, die ihm auf seinem ganz persönlichen Weg geholfen haben:
- Lesen, um die Distanz zum Alten abzubauen.
- Unter Leute begeben, den Austausch suchen – Michel Aballea nutzt einen Tag in der Woche, um Regale zu befüllen und seine Arbeit aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
- Fragen stellen – sich und anderen – Wie findet man den eigenen Polarstern? Warum wollt ihr etwas?
Großer Beifall erfüllte den ganzen Raum nach den beiden Reden. Manchen Rednern gelingt es, mit einfachen Mitteln einer Menge das Gefühl von „wir sitzen in einem Boot, lasst und gemeinsam die Grundsteine für etwas Großes legen“ zu vermitteln – beiden ist es gelungen. Es folgten Speaker wie Michael Trautmann, der mit einem Kollegen zu Frithjof Bergmann gereist ist, österreichisch-US-amerikanischer Philosoph und Begründer der NewWok Bewegung. Auch noch weniger bekannte Speaker, wie Nicolas Vorsteher von Prescreen, kamen zu Wort, der mit dem Bewerbermanagementsystem sehr erfolgreich die Suche nach Fachkräften revolutionieren will. Nach der Auftaktveranstaltung waren sowohl in der Elbphilharmonie als auch im Außenbereich Veranstaltungsorte. Ein paar Kritikpunkte hatten wir trotzdem – ein Manko war, dass in jedem Veranstaltungsort ein Slot direkt auf den anderen folgte, so dass ein pünktlicher Wechsel zwischen Veranstaltungsorten nicht möglich war. Leider waren bekannte Redner wie Gerald Hüther schnell ausgebucht. Leider haben nicht alle diese Mail bekommen oder Slots waren innerhalb weniger Minuten ausgebucht. Mittags litten wir etwas Hunger, weil wir erst im Nachhinein erfuhren, dass im Westin das große Mittagsbuffet aufgebaut war und wir uns stattdessen auf die Häppchen im Flur stürzten und so viele bunkerten, wie wir tragen konnten. Das Bild war trotzdem rund – es wurde klar, dass ein Tischkicker und lustige Sitzmöbel nicht die Grundsteine für den Wandel der Arbeitswelt sein werden, auch wenn das eine Folge der Diskussionen rund um eine bessere Arbeitskultur herum sind. Themen wie Work-Life sind schon fast verstaubt, wohingegen nun über Begriffe wie Digital Ethics, Workplace-Wellbeing, Robo-Recruiting und die Power of Diversity diskutiert wird. Auch Gender Equality ist ein längst überfälliges Thema – noch immer bestehen ein Payment Gap von über 20% bei Mann und Frau. Für etwas Spaß und Networking auf andere Art war abends ebenfalls gesorgt: In Bussen ging es auf die Hamburger Reeperbahn – unter den „Tanzenden Türmen“ ging es auf zwei Ebenen in den Mojo Club – einer der bekanntesten Clubs Hamburgs. Special Guest Flo Mega und Jane Annie O sorgten für Stimmung und rundeten das Event ab. Wo ein Ende ist, ist auch immer ein Neuanfang – vielleicht ist dieses Event in Grundstein auf dem Weg zu einer kompletten Restrukturierung der uns bisher bekannten Arbeitswelt. Wenn wir mehr Sinn und Erfüllung durch unsere Arbeit finden, stellen sich mir viele Fragen: Wie beeinflusst uns das als Individuum, als Mensch, als Teil einer Gemeinschaft? Auf diese Fragen hat die #NWX noch keine konkreten Antworten, aber öffnet allen Teilnehmern den Blick weg von alten Mustern, hin zu einem völlig neuen Verständnis von Arbeit und zeigt Beispiele auf, wo es schon gelingt New Work zu leben.

Wer möchte, kann sich hier noch ein kurzes Recap anschauen: https://www.youtube.com/watch?time_continue=41&v=JaA5-aBmKBA